Wie Unternehmen in der Zeitenwende kommunizieren sollten
Chefs müssen mitdebattieren, ohne der Politik die Vorfahrt zu nehmen.
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03. Mai 2023
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Seit Jahren werden Firmenchefinnen und -chefs zunehmend mit moralischen Anforderungen über ihren engeren unternehmerischen Verantwortungsbereich hinaus konfrontiert. Sie sollen für die Werte ihres Unternehmens einstehen – von Diversität über Migration bis hin zu sozialer Gerechtigkeit. Doch dem potentiellen Reputationsgewinn stehen sub¬stanzielle Risiken gegenüber. Wenn die von Chefs vertretene Haltung mit der tatsächlichen Unternehmenspraxis oder den Sichtweisen der Öffentlichkeit oder wichtiger Gruppen kollidiert, drohen Glaubwürdigkeitsverlust und öffentliche Abstrafung, bis hin zum Kaufboykott.
Die Zeitenwende und die eskalierenden geopolitischen Konflikte haben das Risiko nochmals signifikant erhöht. Da¬mit ist keineswegs nur die Reputation gemeint – jetzt geht es ums Ganze: um Lieferketten, um Absatzmärkte und mitunter gar um das gesamte Geschäftsmodell. Das erzwingt eine Neujustierung der Kommunikation, zuvorderst für die Chefetagen. Denn spätestens, wenn es ums Ganze geht, ist kluge Positionierung ein Muss – und eben Chefsache. Gerade jetzt ist die Erläuterung der eigenen Position unumgänglich und dabei keineswegs aussichtslos. Wie also sollten Chefs im Trilemma von Werteorientierung, wirtschaftlichen Zwängen und geopolitischen Zwängen kommunizieren? Fünf Wegmarken können der Orientierung dienen: Erstens sollte der Primat der Politik zur Ausgangsbasis werden. Denn die Politik setzt die Spielregeln, sie allein hat dafür die demokratische Legitimation. Und nur sie kann über den unternehmerischen Verantwortungsbereich hinausgehende Wertentscheidungen treffen. Diese Rollenverteilung explizit klarzustellen, hat in der aktuellen Situation für Chefs erheblich an Bedeutung gewonnen. Denn sie markiert die Grenze dessen, was Unternehmen leisten und verantworten können.
Dramatisierung ist tabu Das macht zweitens Transparenz und einen offenen Dialog notwendig, denn der Verweis auf den Primat der Politik mag mitunter als „Ausweichen vor der eigenen Verantwortung“ kommentiert werden. Hier hilft der Mut, die damit verbundenen Konflikte und Konsequenzen für Unternehmen und Gesellschaft zum Thema zu machen. Nebeneffekt: Die wertegetriebene Haltungsdebatte wird zu einer differenzierteren, von Fakten bestimmten Diskussion und macht die Entscheidungsoptionen und ihren Preis deutlich. Drittens sollte öffentlicher Streit über geopolitische Grundsatzfragen für Unternehmer tabu sein. Inmitten der schwersten Krise seit Jahrzehnten wollen die Menschen, dass Wirtschaft und Politik gerade in existenziellen, geopolitischen Grundsatzfragen an einem Strang ziehen. Öffentliche Konfrontation überfordert und beschädigt hier beide Seiten. Das bedeutet nicht, dass Chefs nicht gerade zu wirtschaftspolitischen Themen öffentlich hart argumentieren und ringen sollen. Vereinfachung und Dramatisierung durch Angstnarrative sind jedoch tabu.
Viertens erfordert die geopolitische Komplexität eine neue Aufstellung und ein neues Strategiemanagement. Der Primat der Politik hat praktischen Einfluss auf Aufstellung und Herangehensweise. Wir empfehlen, eine direkt an den Firmenchef angebundene Task Force aufzusetzen, in der neben Public Affairs, Investor Relations und Kommunikation auch Strategie und Nachhaltigkeit vertreten sind. Deren Aufgabe: permanentes, systematisches und ressortübergreifendes Abgleichen der eigenen strategischen Agenda mit den geopolitischen Rahmenbedingungen. Nur so lässt sich die aktuelle Dynamik angemessen berücksichtigen – eine dezidierte Erwartung nicht zuletzt des Kapitalmarkts. Fünftens schließlich sollten Unternehmen klarstellen, dass sie „den Schuss gehört haben“. Unternehmen und ihre Chefs sind gut beraten, die neuen Realitäten anzuerkennen und nicht mehr die „Schlachten von gestern“ zu schlagen. Sie können und müssen zeigen, dass sie die verschärften globalen Risiken ernst nehmen und ihre unternehmerische Planung darauf einstellen. Das ist eine Frage der unternehmerischen Verantwortung und Strategie, in Teilen aber auch der öffentlichen Haltung, und zudem eine Forderung der Investoren. Hilfreiche Stichworte sind hier Risikomanagement, Globalisierung, Diversifizierung und Resilienz.
So betrachtet bietet die Zeitenwende auch Chancen für Chefs und ihre Kommunikations- und Politikteams: Sie können dazu beitragen, mit Argumenten und Fakten die Perspektive wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Verantwortung von Unternehmen in die Debatte einzubringen. Damit haben einige bereits begonnen. Das erfordert viel Dialogbereitschaft, Klarheit und Stehvermögen, erweitert allerdings die öffentliche Diskussion und sichert kommunikative und unternehmerische Spielräume.
Datum
03. Mai 2023
Wichtige Kontakte
Chairman, Strategic Communications Germany
Senior Managing Director