Das Beste hoffen, mit dem Schlimmsten rechnen: Zahl der Streitigkeiten im Baugewerbe in der EU nimmt zu
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22. Sep 2022
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Die angespannte Wirtschaftslage in der Europäischen Union hinterlässt auch Spuren im Baugewerbe. Streitigkeiten zwischen den Beteiligten großer Bauprojekte sind damit vorprogrammiert. Wie lassen sich derartige Konflikte am besten vermeiden?
„WARNUNG: Erhöhte Konfliktgefahr.“
Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass an großen Bauprojekten beteiligten Parteien in der Europäischen Union stürmische Zeiten bevorstehen. Die Großwetterlage wird durch Negativfaktoren wie hohe Inflation, Arbeitskräftemangel und explodierende Energiepreise bestimmt und bietet hinreichend Anlass zu Streitigkeiten über Baufortschritt und Kosten.
Dass der Wirtschaft schwere Zeiten bevorstehen, ist inzwischen allseits bekannt. Durch die explodierenden Energiepreise stieg die Teuerungsrate in der Eurozone im August 2022 Angaben von Euronews zufolge von 8,9% im Vormonat auf 9,1%. Gleichzeitig steht der Kontinent weiter unter dem Einfluss historisch niedriger Arbeitslosigkeit: Laut Eurostat fiel die Arbeitslosenquote im Euroraum im Juli auf 6%. Dieser Wert markiert nicht nur den niedrigsten Stand seit 1. Januar 2008, sondern ist auch weit entfernt von dem 2012-13 verzeichneten 15-Jahres-Hoch von 11,5%. Medienberichten zufolge liefern diese Zahlen eine Erklärung für den vor allem in Deutschland und Frankreich zu beobachtenden Arbeitskräftemangel.
Der perfekte Sturm also – und damit auch ausreichend Zündstoff für Streitigkeiten, insbesondere zu Fragen der Zeit- und Kostenplanung, wird die Budgetierung angesichts volatiler Rohstoffpreise und dramatischer Schwankungen an den lokalen Arbeitsmärkten doch zur Herkulesaufgabe.
Im Idealfall werden solche Konflikte zwischen den Beteiligten durch Dialog gütlich und im Einvernehmen beigelegt. Dieser Weg ist im aktuellen Klima jedoch nicht immer realistisch – und häufig sogar unmöglich. Letztlich gilt es, auf alles vorbereitet zu sein, ohne den Optimismus zu verlieren.
Streitigkeiten vorbeugen und den Schrecken nehmen
Die an großen Bauvorhaben beteiligten Parteien können angesichts der schwierigen Rahmenbedingungen zu verschiedenen Strategien greifen, um Baustreitigkeiten aus dem Weg zu gehen oder ihnen zumindest den Schrecken zu nehmen, sollten sie sich nicht vermeiden lassen. In stürmischen Zeiten wie diesen dienen diese Strategien als Schutzwall.
Bei baurechtlichen Konflikten geht es meist darum, dass Planung und Realität nicht übereinstimmen. Transparenz und sorgfältige Dokumentation sind daher entscheidend für den Erfolg eines Projekts über den gesamten Lebenszyklus hinweg. Warum? Diese Voraussetzungen bilden die Grundlage für eine umfassende Projektplanung, solide Annahmen und eine realistische Einschätzung aller Konsequenzen.
Eine weitere wichtige Maßnahme zur Vorbeugung von Konflikten besteht darin, Risiken innerhalb der verschiedenen Vertragsverhältnisse zu synchronisieren und Spielraum für Anpassungen bei Veränderung der makroökonomischen Rahmenbedingungen zu lassen. Geht man in der Zeit eine Generation zurück, kann man sehen, dass damals viele Baustreitigkeiten ihre Ursache in stark schwankenden Material- und insbesondere Stahlpreisen – nicht Energiepreisen – hatten. Es gilt also, wie damals, Verträge so zu stricken, dass auf künftige Preisveränderungen reagiert werden kann.
Doch nicht nur die Möglichkeit von Preisanpassungen trägt zur Konfliktvermeidung bei. Auch die Berücksichtigung von externen Risiken in Bauverträgen kann helfen. Banken und andere an der Projektfinanzierung beteiligte Parteien legen natürlich in der Regel großen Wert auf Planungssicherheit. Kostspielige Bauverzögerungen lassen sich jedoch umgehen, wenn in der Budgetierung des Projekts ein Puffer für Unvorhergesehenes eingeplant wird.
Risiken richtig einschätzen
Die Komplexität von Bauprojekten macht es für die Beteiligten mitunter so schwer, das Risiko von Baustreitigkeiten und die bilanziellen Folgen solcher Konflikte zu umreißen. In diesem Fall kann es von Vorteil sein, im Rahmen einer kaufmännischen Projektbewertung die Schwachstellen in der Planung eines Bauprojekts zu ermitteln.
Bei der Analyse des Risikos potenzieller Baustreitigkeiten gilt es zunächst zu prüfen, ob die tatsächliche Ausführung bislang planmäßig verläuft und wie hoch das Risiko von Abweichungen durch Änderungen am Bauumfang, höhere Gewalt, Verschiebungen in der Zeitplanung und sonstige Faktoren, an denen mehrere Parteien mitwirken, ist.
Im nächsten Schritt muss klar formuliert werden, welche Ursachen möglicherweise auch künftig zu ungeplanten Aufwendungen führen können. Wird der Projektentwurf beispielsweise nach Baubeginn verändert, müssen unter Umständen Baupläne nachbearbeitet oder Anpassungen an der Baustruktur vorgenommen werden. Dies führt unweigerlich zu höheren Material- und/oder Arbeitskosten, was wiederum eine Korrektur der Projektplanung unter Berufung auf die Gründe für die Notwendigkeit dieser Änderungen verlangt.
Und schließlich besteht der Mehrwert einer kaufmännischen Projektbewertung darin festzustellen, ob die Parteien für ausreichend Transparenz in Bezug auf alle Aspekte eines bestimmten Projekts sorgen. Was passiert zum Beispiel, wenn eine Vertragsänderung 1.000 zusätzliche Arbeitsstunden nach sich zieht, jedoch nur lückenhaft dokumentiert wird, wohin das Geld geflossen ist? Fehlt es an den entscheidenden Unterlagen, ist ein formeller Rechtsstreit vorprogrammiert.
Unternehmen, die derartige Fallstricke frühzeitig erkennen und umgehen, sind gut gegen das Risiko von Arbeitsunterbrechungen, unvorhergesehenen Kosten oder noch schlimmere Konsequenzen gefeit. Wenn man außerdem ein genaues Bild davon hat, welche Auswirkungen die makroökonomische Entwicklung auf ein Projekt oder gar das ganze Unternehmen haben kann, sind die Chancen gut, Probleme abzuwenden, bevor sie sich konkretisieren, ist das Unternehmen so doch in der Lage, die komplexen Risiken dieser historisch schwierigen Zeit zu identifizieren und zu begrenzen.
Datum
22. Sep 2022
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