Die Verflechtungen in den Lieferketten der Automobilbranche sind komplexer als gedacht
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23. Sep 2022
Die Verflechtungen in den Lieferketten der Automobilbranche sind komplexer als gedacht
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Die letzten Jahre sind zu einer schweren Belastungsprobe für die globalen Lieferketten geworden. Zulieferer klagen über die Coronakrise, geopolitischen Spannungen und steigende Inflation und haben mitunter große Probleme, Lieferungen aus bestehenden Verträgen fristgerecht zu erfüllen.
Am stärksten zeigt sich diese Herausforderung in der Automobilindustrie mit ihren langen Lieferketten, die sich meist über ein ganzes Geflecht an Unternehmen, häufig über mehrere Kontinente erstrecken. So wandert eine in Ostasien hergestellte Schraube über viele Fließbänder in anderen Ländern, bevor sie, verbaut in einem PkW oder Lkw, in einem Autohaus in Europa landet.
Betrachtet man die zahlreichen Etappen vom Produktionsbeginn bis zum Endprodukt, dem Fahrzeug, wird klar, dass die Lieferkette in der Automobilindustrie an Komplexität kaum zu übertreffen ist. Die Lieferkette deutscher Automobilhersteller sticht zudem mit ihrer besonders hohen Abhängigkeit von Zulieferern aus dem Ausland im Vergleich zu anderen Ländern speziell hervor.
Das Konfliktpotenzial steigt
Wann der enorme Druck auf die Lieferketten endlich nachlässt, lässt sich nur schwer vorhersagen. Vielmehr wächst mit Ereignissen wie den in China immer wieder verordneten Lockdowns zur Eindämmung von Corona, der Eskalation des Ukrainekriegs und den Zinsanhebungen durch die Europäische Zentralbank die Gefahr, dass bereits bestehende Logistikprobleme in der deutschen Automobilbranche verschärft werden. Die extreme Volatilität der Energiekosten dürfte anhalten, und es drohen noch größere Engpässe bei Rohstoffen.
Sicher dürfte aber sein, dass Streitigkeiten über verspätete Lieferungen und unvorhergesehene Kostensteigerungen entlang der Lieferkette auf kurze Sicht vermutlich häufiger werden, haben die Zulieferer doch jetzt schon mit vielen Problemen zu kämpfen.
Die für viele Automobilindustrieunternehmen üblichen geringen Ergebnismargen erhöhen dabei das Risiko, dass Verzögerungen und Preisanpassungen Unternehmen entlang der gesamten Lieferkette ins Straucheln bringen. Umso wichtiger erscheint es, bei Streitigkeiten zwischen Zulieferern die Schadenshöhe sorgfältig zu bewerten.
In einigen Fällen können die Streitigkeiten recht unkompliziert beigelegt werden. Je nach Ausgestaltung der zwischen den Parteien abgeschlossenen Verträge kann die Frage, wie hoch die Ansprüche aus einem Rechtsstreit zu beziffern sind, womöglich relativ unkompliziert und eindeutig beantwortet werden. Doch aufgrund der langen Lieferketten und umfangreichen Verflechtungen in der Automobilindustrie gibt es auch zahlreiche Fälle, in denen sich die Schadensbewertung wesentlich schwieriger gestaltet.
Spillover-Effekte sind zu beachten
Zwar gibt nicht jede Störung in der Lieferkette Anlass für einer Rechtsstreitigkeit, doch allein die wachsende Zahl von Lieferkettenproblemen dürfte dazu führen, dass die Häufigkeit von Konflikten insgesamt zunimmt. Zu beachten ist dabei, dass sich die Auswirkungen dieser Streitigkeiten in einigen Fällen nicht nur auf die beiden Vertragsparteien erstrecken werden.
Zuzuschreiben ist dies dem Umstand, dass die Lieferketten in der deutschen Automobilindustrie besonders weitreichend und aufgrund ihrer internationalen Prägung besonders komplex sind. Die negativen Effekte bei einem Unternehmen wirken sich im Rahmen des sogenannten Spillover-Effekts auch auf die anderen Marktteilnehmer aus, wodurch sich die Verluste potenzieren. Wenn, zum Beispiel, Lieferschwierigkeiten nur eine einzige Teilkomponente am Anfang der Lieferkette betreffen, die allerdings später im Motor verbaut werden soll, können an mehreren nachfolgenden Stellen der Lieferkette Engpässe auftreten und schließlich sogar der Original Equipment Manufacturer (OEM) in Bedrängnis gebracht werden.
Auf diese Weise können sich Zeitverzögerungen und höhere Kosten durch die ganze Lieferkette ziehen und zu äußerst kostspieligen Verzögerungen oder sogar einem Produktionsstopp beim OEM führen. Das Gesamtverlustrisiko steigt damit erheblich. Und je mehr Mitglieder in der Wertschöpfungskette von solchen Spillover-Effekten betroffen sind, desto komplizierter wird es, die Verluste zwischen den einzelnen Zulieferern zu allokieren. Das führt auch dazu, dass die größten Rechtsstreitigkeiten meist mehr als nur zwei Vertragsparteien tangieren. Unter Umständen können komplette Lieferkettenabschnitte gefährdet sein.
In der Zange
Meist lassen sich diese Herausforderungen vor einem Gericht oder Schiedsgericht nicht unkompliziert lösen. Auch wenn in einigen Fällen Gesetze, rechtliche Vorschriften oder Verträge als Orientierungshilfe dienen, ist eine Schadensbewertung durch ein Gericht oder Schiedsgericht allein häufig nicht möglich. In der Regel stützen sich die Richter oder Schiedsrichter bei ihrer Entscheidung auf ein Sachverständigengutachten, das die Verpflichtungen der Zulieferer untereinander und die damit zusammenhängenden Verluste unter die Lupe nimmt.
Automobilzulieferer fühlen sich oft in „die Zange genommen“: müssen sie sich doch sowohl mit ihren Kunden als auch ihren eigenen Zulieferern auseinandersetzen. Während sie mit ihrem OEM über die zu ersetzenden Verluste verhandeln, müssen sie eine Klage gegen einen ihrer Zulieferer einreichen.
Es ist also höchste Zeit, dass alle Akteure entlang der Lieferkette in der Automobilindustrie ein Verständnis dafür wieder entdecken, wie komplex das Beziehungsgeflecht inzwischen geworden ist. Derzeit scheint es der richtige Zeitpunkt zu sein, Verträge zu überprüfen und zudem die Lieferketten durch Einbau von Flexibilität und mögliche Redundanzen zu stützen. Und wie sollte ein Unternehmen reagieren, falls es trotz ergriffener Maßnahmen in einen Rechtsstreit verwickelt wird? Ein Sachverständiger hilft, die Situation und den Schaden sorgfältig und umfassend zu analysieren.
Datum
23. Sep 2022
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