Vier Trends prägen die neueste Generation von M&A-Streitigkeiten
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20. Sep 2022
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Ein Rückblick auf den stärksten M&A-Markt der Geschichte und die daraus entstehenden Streitfälle.
2021 war ein Rekordjahr für Übernahmen und Fusionen. Getragen von Liquidität und einem sehr hohen Bewertungsniveau erreichte der globale Gesamtwert aller Transaktionen ein Rekordvolumen von 5,9 Billionen US-Dollar und lag damit 64% über dem Wert in 2020. Seither haben geopolitische Unruhen, eine für viele überraschend nachhaltige Inflationsentwicklung sowie Rezessionsängste die M&A-Aktivitäten auf das Vor-Pandemie-Niveau der ersten Jahreshälfte 2019 gebremst.
Trotz dieser Verlangsamung sind die Auswirkungen der starken Marktentwicklung im Jahr 2021 in Form einer Welle nachgelagerter M&A-Streitigkeiten zu spüren. Im Rahmen dieser Streitigkeiten setzen sich Trends fort, die sich zum Teil bereits langfristig entwickeln. Vier dieser Trends sollen im Folgenden näher beleuchtet werden.
Trend 1: Hohe Bewertungen führen häufiger zu Enttäuschungen
Eine Phase außergewöhnlich hoher Bewertungen bedeutet nicht zwangsläufig, dass Märkte oder einzelne Akquisitionsobjekte überbewertet sind. Allerdings bieten sehr hoch bewertete Zielunternehmen mehr Raum für Enttäuschungen auf Seiten der beteiligten Parteien: Käufer sind enttäuscht, wenn eine Akquisition hinter den eingepreisten Erfolgserwartungen zurückbleibt. Verkäufer können enttäuscht sein, wenn sich eine deutlich hinter den Erwartungen zurückbleibende Geschäftsentwicklung in unerwartet niedrigen Earn-Out-Zahlungen niederschlägt. Aus Enttäuschung entsteht häufig Streit.
Trend 2: Trend zur schiedsgerichtlichen Beilegung von Konflikten
Die meisten privaten M&A-Streitfälle, die aus der zuletzt außerordentlich starken Marktentwicklung hervorgehen, werden in Schiedsverfahren beigelegt. Einer aktuellen Schätzung zufolge enthalten mehr als 75% der Unternehmenskaufverträge Schiedsklauseln.1 Schiedsinstitutionen berichten weiterhin, dass ein erheblicher Anteil aller Streitfälle mit M&A-, Joint-Venture- u.ä. Verträgen in Zusammenhang steht. So entfielen 14% der Streitfälle am London Court of International Arbitration im Jahr 2021 auf diese Art von Verträgen.2
Über die letzten zehn Jahre verzeichnete die Schiedsgerichtsbarkeit ein stetiges Wachstum. Einer aktuellen Schätzung von FTI Consulting zufolge hat die Zahl internationaler Schiedsverfahren von 2010 bis 2019 weltweit um mehr als 3% pro Jahr und im Jahr 2020 um 9,9% zugenommen.3 Ein außerordentlich starker M&A Markt, der an sich bereits eine höhere Anzahl an Streitigkeiten hervorbringt, trifft daher auf einen steigenden Anteil an Schiedsgerichtsverfahren. Als Folge gehören M&A-Streitigkeiten aktuell zu den relevantesten Streitkategorien.
Trend 3: Zunehmende Popularität von Garantieversicherungen
Gewährleistungs- bzw. Garantieversicherungen (Warranty & Indemnity Insurance) dienen dazu, die Parteien bei Verletzungen von kaufvertraglichen Garantien abzusichern. Sie können Verkäufern einen „sauberen“ Verkaufsprozess ermöglichen: Versicherte Ansprüche werden nicht vom Verkäufer, sondern von einem Versicherer abgedeckt. Traditionelle Versicherungen decken Teile des Garantiekatalogs im Unternehmenskaufvertrag ab. Neuere Formen erweitern die Deckung zuweilen auf „vollsynthetische Garantien“, wonach ein Käufer Schutz für Sachverhalte erlangen kann, die der Verkäufer kaufvertraglich nicht garantieren will oder kann.
Garantieversicherungen haben in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen, und mit ihnen verbundene Innovationen haben sich zu einem wichtigen Aspekt vieler Transaktionen entwickelt. Studien der American Bar Association zu den Aktivitäten privater Garantieversicherer in den Vereinigten Staaten zufolge stieg der Prozentsatz der Transaktionen, in deren Rahmen eine Garantieversicherung erwähnt wurde, von 29% im Jahr 2017 auf 52% im Jahr 2019 und 65% im Jahr 2021.4 An den europäischen Märkten war 2021 ebenfalls ein Anstieg der versicherten Transaktionen zu verzeichnen, insbesondere bei höherwertigen Transaktionen in Großbritannien.5
Garantieversicherungen können bei M&A-Streitfällen neuartige und komplexe Fragestellungen aufwerfen. Zum Beispiel können Abweichungen bei Schadensbemessungsklauseln zwischen Unternehmenskaufvertrag und Versicherungsvertrag in Bezug auf dieselbe Garantie zu Unterschieden bei der Schadensbewertung führen. Synthetische Garantien, die Sachverhalte abdecken, die nicht kaufvertraglich geregelt sind, können für zusätzliche Komplexität sorgen.
Trend 4: Die zunehmende Bedeutung der Prozessfinanzierung
Prozessfinanzierungen dienen der Finanzierung von Streitigkeiten vor staatlichen Gerichten oder Schiedsgerichten durch eine Drittpartei. Prozessfinanzierer erhalten im Allgemeinen eine Erfolgsbeteiligung (Finanzierungsvereinbarungen können ansonsten flexibel sein). Prozessfinanzierungen gibt es bereits seit Jahrzehnten und kommen bei unterschiedlichen Arten von Rechtsstreitigkeiten zum Einsatz. Sie haben in den letzten Jahren allerdings stark an Bedeutung gewonnen. Dies wird zum Beispiel an der Nennung des Begriffs „Litigation Funding“ in Veröffentlichungen deutlich.
Analysten erwarten ein deutliches Marktwachstum. Einer Schätzung zufolge belief sich der Markt für Prozessfinanzierung im Jahr 2019 auf 11,5 Milliarden US-Dollar weltweit und soll bis zum Jahr 2028 auf ein Volumen von 24,1 Milliarden US-Dollar ansteigen.6 Die Drittmittelfinanzierung ist bei Investitionsschiedsverfahren und Sammelklagen sehr verbreitet, spielt aber bei M&A-Streitigkeiten ebenfalls eine Rolle. Das Vorgehen der Finanzierer bei Investitionsentscheidungen kann sich auf den Verlauf der Streitfälle in mehrfacher Hinsicht auswirken. So sind Finanzierer in Bezug auf die finanzierten Streitigkeiten sehr selektiv, finanzierte Verfahren werden oftmals straff organisiert, und es werden häufig spezialisierte Sachverständige hinzugezogen.
Fazit
Es wird interessant sein, zu beobachten, wie sich der Gegenwind in der zweiten Jahreshälfte 2022 auf den M&A-Markt auswirkt. Es ist jedoch zu erwarten, dass die außergewöhnlich starke Marktentwicklung des vergangenen Jahres sich weiterhin in einer Welle von M&A-Streitfällen niederschlagen wird, in denen sich die aufgezeigten Trends fortsetzen werden.
Footnotes:
1: Elsing/Pickrahn/Pörnbacher/Wagner, M&A-Streitigkeiten vor DIS-Schiedsgerichten (CH Beck, 2022), V.
2: LCIA 2021 Annual Casework Report, verfügbar unter https://www.lcia.org/LCIA/reports.aspx
3: International Arbitration After the Pandemic, An FTI Consulting Report – veröffentlicht im März 2022, 3
4: American Bar Association, Private Target Mergers and Acquisitions Deal Point Studies (2017, 2019 und 2021).
5: CMS European M&A Study 2022, 55 und 56.
6: https://www.researchnester.com/reports/litigation-funding-investment-market/2800
Datum
20. Sep 2022
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