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Fix, Sell, Close: Herausforderungen beim Umgang mit Tochtergesellschaften in Brasilien
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17. Jul 2025
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Nach Jahren schleppenden Wachstums, politischer Turbulenzen und dem Rückzug zahlreicher Unternehmen befindet sich die größte Volkswirtschaft Lateinamerikas seit 2021 wieder im Aufwind. 2024 betrug das BIP-Wachstum 3,4 % – und auch der Blick in die Zukunft bleibt optimistisch.
Getragen wird der Aufschwung nicht nur von einer stabileren politischen Lage, sondern auch vom enormen Reichtum an natürlichen Ressourcen. Brasilien zieht dadurch weltweit Kapital an: Laut den Vereinten Nationen ist das Land derzeit der größte Empfänger ausländischer Direktinvestitionen in Lateinamerika mit rund einem Drittel des Gesamtvolumens. Dennoch sind die ausländischen Direktinvestitionen seit 2023 rückläufig (2024: -7,6 % ggü. Vorjahr). Ein Rückgang, der zeigt: Trotz des wachsenden Interesses bleibt der Markteintritt für internationale Unternehmen herausfordernd. Hürden wie eine hohe Wechselkursvolatilität, Mangel an qualifizierten Fachkräften, hohe Bürokratie, komplexe Steuerstrukturen und schwache Infrastruktur bremsen viele Investoren aus. Als Folge haben in den letzten Jahren zahlreiche ausländische Unternehmen erhebliche Herausforderungen bei der Geschäftstätigkeit in Brasilien erlebt und sich vom brasilianischen Markt zurückgezogen bzw. ihren Geschäftsumfang reduziert. Prominente Beispiele sind Shell, Julius Bär, Ford, Mercedes oder LG.
Der nachfolgende Artikel thematisiert die strategischen Handlungsoptionen ausländischer Investoren im Umgang mit brasilianischen Tochtergesellschaften, deren rückläufige wirtschaftliche Entwicklung dringenden Handlungsbedarf signalisiert.
Eine gut geplante Lösung kann negative Auswirkungen minimieren und den Unternehmenswert steigern bzw. erhalten
Die Entscheidung über Restrukturierung, Verkauf oder Schließung von Tochtergesellschaften in Brasilien erfordert eine sorgfältige und strukturierte Analyse der verfügbaren Optionen. Um sowohl finanzielle als auch rechtliche Risiken angemessen zu berücksichtigen, ist eine detaillierte Bewertung von Chancen und Risiken der Tochtergesellschaft unerlässlich. Diese Analyse ermöglicht die Aufdeckung und Bewertung von Potenzialen sowie stiller Reserven und Lasten, wodurch eine fundiertere und effizientere Entscheidungsfindung unterstützt wird.
Brasilien weist Besonderheiten auf, die in diesem Prozess berücksichtigt werden müssen. Die strenge Arbeitsgesetzgebung, der starke Einfluss von Gewerkschaften und ein hochgradig bürokratisches und belastendes Steuersystem können die Restrukturierungs- bzw. Ausstiegsstrategie erheblich beeinflussen. Die Einhaltung arbeits- und steuerrechtlicher Verpflichtungen sowie die Verhandlungen mit lokalen Stakeholdern erfordern daher eine sorgfältige Planung, um Rechtsstreitigkeiten und hohe Strafen zu vermeiden.
In Abhängigkeit von den langfristigen Unternehmenszielen, der wirtschaftlichen Situation und den zukünftigen Entwicklungspotenzialen ergeben sich grundsätzlich drei Handlungsoptionen:
- Fix it: Eine gezielte operative oder finanzielle Restrukturierung der Tochtergesellschaft im Rahmen einer außergerichtlichen oder gerichtlichen Sanierung
- Sell it: Verkauf der Tochtergesellschaft an lokale oder ausländische Investoren
- Close it: Einstellung der Geschäftstätigkeit im Rahmen einer solventen Liquidation oder eines Insolvenzverfahrens
Fix it: Außergerichtliche Sanierung
Die außergerichtliche Sanierung (Recuperação Extrajudicial1) ist eine Alternative für Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten, die eine gerichtliche Auseinandersetzung mit entsprechenden Reputationsrisiken vermeiden wollen. Sie eignet sich insbesondere zur Neuverhandlung von Verbindlichkeiten gegenüber bestimmten Gläubigergruppen. Zentraler Bestandteil des Verfahrens ist der Restrukturierungsplan, der in multilateralen Verhandlungen mit den betroffenen Gläubigern entwickelt wird und eine tragfähige Schuldenrestrukturierung mit entsprechend geordneter Rückführung der Verpflichtungen zum Ziel hat.
Da sich die Verschuldung ausländischer Tochtergesellschaften in Brasilien in der Regel hauptsächlich auf Intercompany-Verbindlichkeiten beschränkt und kaum Verpflichtungen gegenüber Finanzinstituten bestehen, bietet die außergerichtliche Sanierung eine geeignete Möglichkeit, Verbindlichkeiten gegenüber Lieferanten und Arbeitnehmern im Rahmen kollektiver Verhandlungen mit der Gewerkschaft neu zu strukturieren.
Der Vorteil der außergerichtlichen Sanierung liegt in ihrer vergleichsweise schnellen Umsetzung, hohen Flexibilität und den geringeren Kosten im Vergleich zur gerichtlichen Sanierung. Zudem lässt sich die Sanierung nach Annahme des Restrukturierungsplans durch die Mehrheit der Gläubiger unter bestimmten Voraussetzungen auch gegen den Willen einzelner Gläubiger gerichtlich durchsetzen. Allerdings setzt der Erfolg eine Kompromissbereitschaft der Gläubiger sowie einen überzeugenden und tragfähigen Restrukturierungsplan voraus.
Fix it: Gerichtliche Sanierung
Sollte eine außergerichtliche Sanierung nicht umsetzbar sein, steht dem Unternehmen als Alternative ein gerichtliches Sanierungsverfahren (Recuperação Judicial2) zur Verfügung. Dieses Verfahren gewährt einen temporären Schutz vor Vollstreckungsmaßnahmen3 und verschafft dem Schuldner einen zeitlichen Rahmen zur Umsetzung einer finanziellen Reorganisation unter gerichtlicher Aufsicht. Voraussetzung ist die Vorlage eines Restrukturierungsplans, der die Zustimmung der Gläubiger erfordert.
Obwohl das Verfahren einen rechtlichen Rahmen zur Fortführung der Geschäftstätigkeit schafft, ist es in der Praxis mit erheblichen Kosten, komplexen Abläufen und langen Verfahrensdauern verbunden. Ein wesentlicher Vorteil liegt jedoch in der Möglichkeit, einen unabhängigen Geschäftsbereich (Unidade Produtiva Isolada – UPI) zu veräußern, ohne dass Eventualverbindlichkeiten (z. B. steuerlicher oder arbeitsrechtlicher Natur) auf den Erwerber übergehen.
Sell it: Veräußerung der Tochtergesellschaft
Der Verkauf der brasilianischen Tochtergesellschaft an lokale oder internationale Investoren stellt häufig die einfachste und effizienteste Exit-Strategie dar – insbesondere um langwierige und kostenintensive Gerichtsverfahren zu vermeiden. Die Umsetzung einer solchen Transaktion kann jedoch durch verschiedene Faktoren erschwert werden: eine realistische Bewertung des Unternehmens, potenzielle Altverbindlichkeiten sowie die aktuellen Markt- und Investitionsbedingungen.
Durch eine vorgelagerte Restrukturierung lässt sich die Grundlage für eine erfolgreiche Transaktion schaffen oder deren Effizienz steigern. In diesem Zusammenhang stellen sowohl außergerichtliche als auch gerichtliche Sanierungsverfahren – wie zuvor beschrieben – geeignete Instrumente dar. Diese Maßnahmen können jedoch die Transaktionsdauer verlängern und erfordern eine sorgfältige Planung im Hinblick auf Timing, Rechtsfolgen und Gläubigerkommunikation.
Close it: Solvente Liquidation
Die Verwertung von Vermögenswerten und die anschließende Begleichung bestehender Verbindlichkeiten ermöglichen eine vergleichsweise schnelle und geordnete Beendigung der operativen Geschäftstätigkeit. Im Falle bestehender Steuerschulden bietet der brasilianische Gesetzgeber die Möglichkeit, über sogenannte steuerliche Transaktionen (Transação Tributária) mit den zuständigen Behörden individuelle Vereinbarungen zur Schuldenregulierung zu treffen. Intercompany-Verbindlichkeiten werden üblicherweise im Zuge einer Kapitalerhöhung durch Umwandlung der Schulden in Eigenkapital abgewickelt.
In Situationen, in denen die Passiva das verfügbare Vermögen übersteigen, sehen sich ausländische Gesellschafter mitunter gezwungen, zusätzliche Mittel bereitzustellen, um ausstehende Verpflichtungen zu bedienen. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass im Fall einer gleichzeitigen Insolvenz der ausländischen Muttergesellschaft der Insolvenzverwalter der ausländischen Gesellschaft gesetzlich häufig nicht berechtigt ist, finanzielle Mittel zur Schuldentilgung an die brasilianische Tochtergesellschaft zu übertragen. In einem solchen Szenario stellt die Insolvenzanmeldung der brasilianischen Einheit die einzige rechtlich zulässige Option dar.
Close it: Insolvenz
Ist keine der zuvor beschriebenen Optionen umsetzbar, bleibt als letzter Schritt die Einleitung eines Insolvenzverfahrens (Falência) – entweder durch das Unternehmen selbst oder auf Antrag Dritter. Die Insolvenz führt zur vollständigen Liquidation der Vermögenswerte, wobei der Erlös gemäß der gesetzlichen Rangfolge auf die Gläubiger verteilt wird. Dabei handelt es sich in der Regel um ein langwieriges, formalisiertes und bürokratisch anspruchsvolles Verfahren, das nicht nur mit erheblichen rechtlichen Risiken verbunden ist – insbesondere im Hinblick auf arbeits- und steuerrechtliche Verpflichtungen –, sondern auch die Reputation der Muttergesellschaft erheblich beeinträchtigen kann.
Vor allem die lange Verfahrensdauer vor brasilianischen Gerichten ist häufig nicht praktikabel für Unternehmen und ihr Beraterteam. Das gilt natürlich in Ausnahmesituationen wie Unternehmenskrisen bzw. Insolvenzsituationen in besonderem Maße.
Fazit
Die Einstellung der Geschäftstätigkeit in Brasilien erfordert eine sorgfältige Prüfung der verfügbaren Optionen. Zunächst bieten außergerichtliche und gerichtliche Sanierungsverfahren umfassende Restrukturierungsmöglichkeiten, die jedoch mit Verhandlungs- und gerichtlichen Risiken verbunden sind. Der Verkauf des Unternehmens stellt häufig eine effiziente Lösung dar, setzt aber das Vorhandensein potenzieller Käufer voraus. Die Liquidation und endgültige Auflösung des Unternehmens ist ein vergleichsweise unkomplizierter Weg, der jedoch oft eine zusätzliche Kapitaleinlage erfordert. Die Insolvenz sollte angesichts ihrer hohen Komplexität und potenziell negativen Folgen stets nur als letztes Mittel in Erwägung gezogen werden.
Für deutsche und europäische Unternehmen, die in Brasilien tätig sind, ist es unerlässlich, auf spezialisierte rechtliche und finanzielle Beratung zurückzugreifen, um Risiken zu minimieren und den Wert der Vermögenswerte im Falle eines Rückzugs zu maximieren. Eine angemessene Planung kann negative Auswirkungen verringern und den Ruf des Unternehmens langfristig erhalten.
Dieser Beitrag ist in Zusammenarbeit mit Frau Anneliese Velasco Burkert Eger von “Gaia Silva Gaede Advogados” entstanden.
Quellen
International Monetary Fund (IMF), „Real GDP Growth֞, April 2025, Link
Deutsche Auslandshandelskammer, „Sonderauswertung des AHK World Business Outlook Frühjahr 2025 für Brasilien und Lateinamerika֞, Juni 2025, Link
UNCTAD, „World Investment Report 2025֞, 2025, Link
Footnotes:
1: Entspricht i. W. dem US-amerikanischen Pre-Packaged-Chapter-11-Verfahren.
2: Entspricht i. W. dem Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung mit gerichtlich bestelltem Sachwalter und ist stark dem US-amerikanischen Chapter 11 angelehnt.
3: Die ˶Stay Period֞ beträgt 180 Tage, gerechnet ab dem Zeitpunkt der Genehmigung des Antrags auf gerichtliche Sanierung. Dieser Zeitraum kann in Ausnahmefällen einmalig um weitere 180 Tage verlängert werden.
Datum
17. Jul 2025